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Verdemotta ruft

16   Die schwarze Katze der Roswitha Raupenstrauch

Edgar Ziegenbart war seit jeher für den Holznachschub und das Verkleinern desselben verantwortlich. Der Winter kam meist früh in den Bergen und selbst in einem Südwesttal, wie das Val Pergola eines ist, fiel der Schnee in dieser Höhe reichlich. Auch wenn er dem »sorel« wegen, dem milden Luftstrom, nicht immer lange liegen blieb. Edgar füllte daher in den bewohnten Montis die Gestelle mit verschieden grossen Scheiten rechtzeitig wieder auf. Seine Holzbeigen waren richtige Kunstwerke und wurden von allen bewundert. Eben fuhr er mit seinem beladenen Schubkarren zum »Monti 9« hoch, um ebenfalls bei der Kräuterhexe, wie sie alle nannten, den Vorrat aufzufüllen. Da strich ihm doch eine schwarze Katze um die Beine, die hatte er noch nie gesehen und gehörte sicher der Roswitha. Edgar, von Haus aus abergläubisch, wenn ihm eine schwarze Katze über den Weg lief, im Unterschied zu Siegmund, der zwar gläubig, aber mehr das Trinken zu seiner Religion erwählte. Jedem das Seine dachte Edgar und begann das Holz aufzuschichten. Da krähte schon die Alte von oben, sie habe seit Neuestem Gicht in den Gliedern und er solle ihr kleine Scheithölzer stapeln. Den Kater habe sie von Giovanni erhalten, dem frass er laufend das Trockenfleisch weg. Er heisse Luzifer, weil er ihn seitdem zum Teufel wünschte. Edgar sagte mal lieber nichts, die Alte hatte eh immer das letzte Wort. Ob er nach getaner Arbeit einen Kräuter wolle, den neuen habe sie in Flaschen abgefüllt. Deswegen schliesse sie die Türe, sonst rieche ihn der Sigi gegen den Wind. Wenn sie lachte, kriegte man augenblicklich Hühnerhaut. So ein Schnaps zwischendurch könne nicht schaden, das schmiere seine alten Glieder. Er komme dann auf ihr Angebot zurück, meinte er höflich.

Eine halbe Stunde später, nach seiner obligaten Feierabend-Pfeife, stieg er bei Roswitha die Steintreppe hoch. Auch hier gab es ein stabiles Holzgeländer, von ihm gebaut, damit sich das »Chrüterwiibli« mit ihren schmerzenden Gliedern hinaufhangeln konnte. War man Gast bei dieser manchmal verschrobenen Frau, dann tischte sie auf, was ihr der Alpkäser Giovanni als Gegenleistung für die gesammelten Bergkräuter mitgab, und das war nicht wenig. Dass die Alte noch fast täglich zu den beiden Alpweiden Cadraun und Planiz am Fusse des Piz Duin hochstieg, grenzte an ein Wunder. Auf dieser Höhe fand sie die würzigsten Kräuter, einige steckte sie in ihren eigenen Beutel für ihren sagenhaften Likör. Den Cadrin, wie sie ihn liebevoll nannte. Ernesto der Maler zeichnete und malte ihr die Etiketten. Jetzt nippte Edgar einmal mehr an diesem Wundertrank und schnitt sich Hirschwurst, Käse und Brot dazu. Auf die Frage über ihr manchmal tagelanges Fernbleiben erhielt man von ihr nie eine Antwort. Viele dachten insgeheim, sie bewohne eine Höhle am Piz Duin. Gefunden hatte diese noch keiner.